Liebe Kreta-Freunde und -Freundinnen,
nach 3 Monaten und kurz vor Frühlingsbeginn wieder etwas Neues von den Gestaden des Libyschen Pelagos. – Unsere 2. Winterhälfte war meteorologisch zwar nicht eitel Sonnenschein, aber doch mehr als erträglich.
Nur etwa eine Woche lang Anfang Februar, als die Temperaturen in mehreren Nächten auf 3 Grad (bei starkem Nordwind auch für die Bäume gefühlt unter Null) sanken und in Kallikratis 30 cm Schnee lagen, musste der Ofen qualmen, gefüttert mit freilich ausreichend vorhandenem Olivenholz aus den Rückschnitten der letzten Jahre. Dem Brauch folgend wurden die dünneren Zweige aus dem diesjährigen Schnitt vor Ort in Kolokasia verbrannt und auf der Glut dann die guten lokalen Räucherbratwürstchen gegrillt (noch vor Beginn der Fastenzeit).
Der Sfakiote ist als Viehzüchter oder Olivenbauer aus Prinzip nie mit dem Wetter zufrieden: entweder ist es zu heiß, zu windig, oder es regnet zu viel oder zu wenig. In dieser Saison ist eher die letzte Klage gerechtfertigt. Von dem Niederschlags-Jahressoll von ca 800 l/qm (das hier ja praktisch vollständig im Winterhalbjahr zu erbringen ist, gegenüber unter 600 ganzjährig in Mainz) haben wir bis jetzt gerade 50% erreicht. Aber immerhin hat es gestern und heute wieder schön (30 l/qm) geregnet und bis Ende April wird die Hoffnung nicht sterben. Leider sind die Weißen Berge bisher immer nur wenige Tage lang weiß gewesen und es sind kaum Niederschläge als Schnee gespeichert.
Von unseren Kämpfen mit dem griechischen Amts-Esel haben wir schon des Öfteren berichtet. Das leidige Thema „Kataster“ (κτηματολόγιο, digitale Erfassung aller Liegenschaften in Griechenland) ist für uns immer noch nicht abgeschlossen. Weil ein Großteil der Grundstückseigentümer auch 2 Jahre nach Ende der ersten Frist die Unterlagen noch nicht eingereicht hat, wird die Frist aber zum Glück immer wieder verlängert. Um meine Bankkarte bei der Hellenischen Nationalbank zu verlängern muss ich alle 3 Jahre eine erhöhte Anzahl von Nachweisen vorlegen, die es teilweise gar nicht gibt: z.B. eine Rentenbescheinigung, die ich als Pensionär nicht bekomme, oder die Bescheinigung über die Zuteilung einer Steuernummer, die ich vor 20 Jahren beantragt habe, als es diese Bescheinigung noch nicht gab (der hiesige Steuerbescheid mit Quittung über alle bezahlten Steuern reicht nicht). Deshalb reisen wir mindestens alle 3 Wochen über die Berge zum Rendez-vous (ραντεβού, der griechische Terminus für Termine jeglicher Art) mit unserer liebsten Freundin, der Rechtsanwältin Theano, mit der Nationalbank, dem Finanzamt oder dem Elektrizitätsamt (auch eine Bescheinigung über einen bestehenden Stromvertrag benötigt man für die Verlängerung des Bankkontos).
Dank der freundlichen Witterung konnten wir diesen Winter diese Pflichtfahrten öfter denn je mit der Erkundung neuer Wanderrouten auch auf der Nordseite der Berge verbinden. Zu diesem Zweck leisten wir uns dann auch mal eine oder zwei Hotelübernachtungen, für die man auch in einem gut ausgestatteten Haus der venezianischen Altstadt von Chania im Winter nicht mehr als 40 € berappen muss (während man für ein Bier ganzjährig nun schon oft 5 € bezahlt). Was unsere Wandertouren betrifft, zeichne ich sie seit über 10 Jahren mit der Outdoor-App Komoot auf und war nun doch erstaunt zu sehen, dass es inzwischen 827 sind, davon etwa ein Drittel auf Kreta mit über 1000 km. Die schönsten Wanderungen in Sfakia habe ich in einer Sammlung hier zusammengestellt, und ich lade alle Kretafahrer ein, uns auf diesen zumeist nicht sehr ausgetretenen Pfaden zu folgen oder selbst neue zu entdecken. Das ist selbst für uns nach rund 50 Jahren Kretawandern immer noch möglich.
Als ich vor rund 50 Jahren erstmals kretischen Boden betrat, wurde das Dorf Κολοκάσια/Kolokasia (οffiziell seit 1934 Άγιος Γεώργιος/Agios Georgios), in dem sich unser altes Φοίνικας/Finikas-Haus und unsere ca 20 privaten Olivenbäume befinden, von seinen Bewohnern verlassen, weil die staatliche Planung der damaligen Militärjunta nicht vorsah, das Dorf an die moderne Infrastruktur (Straße, Strom) anzuschließen, deren Achse (von Chora Sfakíon noch Rodákino) 1 km südlich und 150 m tiefer verlaufen sollte. An der damals neu gebauten autotauglichen Straße stampfte man unterhalb von Kolokasia das neue Dorf Agios Nektarios aus dem kargen Boden, in dem sich etwa ein Dutzend Familien aus dem Oberdorf niederließ.
20 Jahre später gab es eigentlich nur noch einen örtlichen Nutznießer des alten Dorfes, nämlich einen Viehzüchter mit seiner Familie und seinen überdimensionierten Schafziegen-Herden, die im Prinzip nichts anderes taten und tun, als die jahrtausendalte Kulturlandschaft progressiv zu zerstören und gleichzeitig von europäischen Subventionen zu profitieren. Ihm und dem verlassenen Dorf spendierte das frisch in die EU aufgenommene demokratische Griechenland damals eine Betonstraße, die wohlgemerkt immer noch gut befahrbar ist, sogar für über 7,5-Tonner. Dieser Straße und einem ebenfalls EU-gestützten Programm zur „Förderung der öffentlichen Straßenbeleuchtung in traditionellen Dörfern“ ist es zu verdanken, dass im März 2023, 50 Jahre nachdem der letzte traditionelle Bewohner das Dorf verlassen musste, eine Stromleitung nach Kolokasia verlegt – oder besser „gespannt“ – wird. Ein trotz allem abenteuerliches Unterfangen, denn die letzten sechs der insgesamt zwölf fast 15 m hohen Strommasten aus Holz müssen dann doch mehrere Hundert Meter abseits der Straße aufgestellt werden, was bis zur Stunde noch aussteht. Nur die Löcher für die Pfeiler sind bereits in den widerspenstigen, felsdurchsetzten Boden gebohrt worden.
Mit brennender Geduld warten wir ab, was der Amtsesel von uns fordern wird, sobald wir den Antrag stellen, dass auch unser traditionelles Phoenix-Haus an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen werden möge. Sicher mehr als eine Chania-Reise mit vergeblichen Behördengängen, die wir dann aber auf einer neuen Wandertour schnell ad acta legen werden.
Im letzten Rundbrief haben wir von dem Forschungsaufenthalt unserer Tochter Magdalena berichtet, die Anfang November 2022 Jahres nach Sfakia kam, um in Kallikratis interkulturelle Aspekte des sich um den Heiligen Georg den Besäufer rankenden Brauchtums kulturanthropologisch zu untersuchen. Das Ergebnis kann nun hier eingesehen werden (Lesezeit ca 10 Minuten ohne Endnoten, die aber ebenso interessant sind wie der Text selbst).
Nach der Lektüre dieses Beitrags versteht man, warum in der interkulturellen nicht-indigenen Kolokasia-Frangokastelo-community Traditionen GROẞ geschrieben werden. Nach dem weinheiligen Georg haben wir im Rahmen der örtlichen Fastenbräuche am Prokio in Patsianos den „Rauchdonnerstag“ (Τσικνοπέμπτη) gefeiert, an dem zum letzten Mal vor der österlichen Fastenzeit Fleisch gegrillt und gegessen wird, und 10 Tage später in der einzigen in Chora Sfakion geöffneten Taverne den „Ascher-“ oder „Sauberen“ Montag (Καθαρά Δευτέρα), ab dem man schon nicht mal mehr Fisch essen darf, sondern nur noch angeblich blutfreie Meerestier-Produkte wie Tintenfische und Fischei-Zubereitungen, aber auch fast beliebige Süßspeisen, wie den aus Sesam hergestellten Chalvás, sozusagen die Schokolade des Orients. Zumindest wenn man die speziellen Fasten-Sonderangebote (νηστίσιμα) der Supermarktketten (inkl. griechischer LIDL) studiert, gewinnt man den Eindruck, dass nie im Jahr so viel gegessen wird wie in der Fastenzeit. Andererseits besteht das Geheimnis der so genannten „Kreta-Diät“ darin, dass man traditionell einfach zahlreiche Fastenzeiten im Jahreslauf respektierte (sicher auch von der Not gedrungen), während derer man sich weitgehend vegetarisch ernährte, insbesondere von Hülsenfrüchten, Gartengemüsen und Wildkräutern, selbstverständlich mit bzw. in dem köstlichsten Olivenöl der Welt zubereitet.
Und um ein weiteres Mal an den Weihnachts-Rundbrief anzuknüpfen: Die Citrus-Marmeladenfabrik hat ihren Betrieb aufgenommen. Wir haben bisher 45 Gläser Bergamotte und 24 Pomeranzen(Bitterorangen)-Marmelade produziert. Von letzteren ist jedoch das meiste bereits reserviert. Allerdings ist unser frisch abgeernteter Baum schon wieder mit Blütenknospen gespickt, die hoffentlich dem aktuellen Regen mit Nordwind zu trotzen vermögen. Im Prinzip sollten auch noch unsere dafür sehr gut geeigneten Zitronen verarbeitet werden. Falls es soweit kommt, teilen wir das hier mit. Der Vorteil aller Citrus-Marmeladen ist, dass man ohne zugefügtes Pektin auskommt, also ohne Gelierzucker, den es hier sowieso nicht gibt. Dafür ist der Prozess einigermaßen aufwändig und nimmt jeweils 1-2 Tage in Anspruch, wie auf kolokasia.proikio.de beschrieben.
Wie die Ölbesteller leider schon erfahren mussten, ist die allgemeine Teuerung auch an den kretischen Produkten nicht vorübergegangen. Während der Honigpreis nur wegen der teurer gewordenen Behälter ein klein wenig gelitten hat und der für Raki (Tresterschnaps) überhaupt nicht, ist die Preissteigerung beim Graviera-Käse beachtlich. Liegt es beim Olivenöl an der hohen Nachfrage aus den anderen europäischen ölproduzierendern Ländern, ist es beim Käse der um 100 % gestiegene Preis der Schafsmilch (ca. 2,50 €), der wiederum auf die stark erhöhten Preise der Futtermittel zurückzuführen ist.
Neu im Angebot haben wir neben den Marmeladen nun auch den hochgeschätzten Kretischen Bergtee aus dem in 1000 m Höhe auf den sfakiotischen Bergen gesammelten Kraut Sideritis syriaca („Syrisches Gliedkraut“), das trotz seines Namens auf Kreta endemisch ist. Auf Kreta heißt er Μαλοτίρα (Malotira), was sich aus dem venezianischen Italienisch ableitet und als „zieht das Böse raus“ übersetzt werden kann. Besonders gut funktioniert das, wenn man seinen Tee mit einem Löffel Thymianhonig genießt und wenn es ganz bös zugeht, auch noch mit einem Schuss Raki. Weil wir im Mai, wenn das Kraut gesammelt wird, nicht hier sind, beziehen wir die Packungen (ca 40 g für 20-25 Tassen) aus dem Laden für traditionelle lokale Produkte Βούργια (Vurja) von Jorgos & Uli Koukounari, der der beliebten und ebenfalls 50jährigen örtlichen Taverne Babis & Popi angeschlossen ist.
Hier die aktuellen Preise der non-oil-Produkte im Einzelnen (Öl-Preise hier):
Graviera-Käse aus Schafsmilch | 1 kg | 17,00 €* |
Raki/Τσικουδιά | 0,75 l | 9,00 €** |
Thymianhonig aus Kolokasia | 1 kg | 13,00 € |
Marmelade aus Bergamotte oder Pomeranze, evtl. Zitrone | 330 g | 4,50 €*** |
Bergtee (Malotira) | 40 g | 5,00 € |
* vakuumisiert in Packungen zu jeweils ungefähr 500 oder 1000 g, die sich im Kühlschrank monatelang halten
** andere jeweils gewünschte Mengen, z.B. 0,5 l oder 1 l können abgefüllt werden
*** davon 0,50 € für das Gebinde, die wir bei Rückgabe gerne erstatten
Ich versuche die hierzu bereits eingegangenen Anfragen zusammenzuklauben, die in den Ölbestellungen enthalten waren und hoffe, dass ich nichts übersehe. Eine nochmalige Bestätigung, auch in Anbetracht der neuen Preise, wäre aber hilfreich (wohlgemerkt nur für diese Produkte, nicht für Öl, das ist im Kasten!).
Somit danken wir nur noch für eure Aufmerksamkeit und das Interesse an unserem Rundbrief und entlassen euch in euren Frühling, herzlich sfakiotisch grüßend